Sonntag, 14. Juni 2009

Daniel Kehlmann: Ruhm

Von Manuel Karasek

Ein älterer und ein junger Schriftsteller, die einmal gemeinsam im Berlin der frühen 30er Jahre vor überwiegend russischen Emigranten lesen. Und nach der Lesung wird der ältere über den jungen sagen, dieser habe ein Gewehr genommen, gezielt und abgedrückt. Ein drastisches Bild, das Bunin als Charakterisierung der soeben vernommenen Prosa von Vladimir Nabokov gebrauchte – und eine Anekdote, die manchmal Verwendung im Zusammenhang mit strukturellen Merkmalen nabokovscher Texte fand. Sie sollte auch einen frühen Moment der Postmoderne festhalten. Das Spiel mit dem auktorialen Erzähler, dem Handlungsverlauf und den Figuren, die gemeinsam mit ihren Lesern in Spiegelkabinette oder in die gähnende Leere von Falltüren treten. Allerlei illusionistische Tricks, doppelte Böden, Täuschungsmanöver, die das lineare Erzählen des 19. Jahrhundert aufgebrochen haben - das war es wohl, was Bunin als Vertreter einer älteren Generation mit dem Vergleich gemeint hatte. Das ist alles lange her.
In Daniel Kehlmanns neuem Roman „Ruhm“ steckt sich in einer Szene ein brasilianischer Verfasser weltweit verbreiteten Ratgeberschwulstes - der auch noch einen wunderschön kitschigen Namen trägt: Miguel Auristos Blanco - an einem herrlichen Morgen den Pistolenlauf in den Mund. Ob er in der nächsten Sekunde abdrücken oder auf den Selbsttötungsversuch verzichten wird, das wird dem Leser nicht verraten, weil (A) zum Prinzip dieses Romans Geschichten mit offenen Enden gehören und weil (B) eine Auflösung des Erzählschlusses die zentrale Idee des Buches unterwandert hätte. Man muss verstehen, was an Daniel Kehlmanns jüngstem Werk großartig wie gleichermaßen amüsant ist. Nämlich dass es mit aller Deutlichkeit dahingehend konzipiert ist, dass es die Kritik, die beim Erscheinen des Buches laut werden würde, regelrecht auf unterschiedlichen Metaebenen antizipiert.
Wie ist der Autor da vorgegangen? Wie hat er sein Material verarbeitet? Natürlich erinnert der in einer Penthousesuite hausende Blanco an den brasilianischen Kuschelliteraten Coelho – und nicht an Daniel Kehlmann. Und natürlich ist der satirische Einschlag in der Beschreibung eines megaerfolgreichen Autors, der aufgrund eines einzigen und aufrichtig religiös gefärbten Leserbriefes seine vermurmelten Weltweisheiten plötzlich für ein inakzeptables Lügengebäude hält, nicht zu überlesen. Aber das Bild spricht gar nicht zu Coelho, es will ihn nicht mal angreifen.
Kehlmann entwirft eher ein chiffriertes Bild, das im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte um sein Werk in den letzten Jahren steht; und in der - entweder offen oder zwischen den Zeilen – gerade wegen des großen Erfolgs an seiner literarischen Potenz gezweifelt wurde. Denn die Pistole, die sich Blanco in den Mund steckt, richtet sich im Gesamtkontext des Romans auf die Erwartungen des Kommentars. Und die anderen Geschichten sind - um im Bild zu bleiben – seine Munition. Jede Erzählung funkelt virtuos und von einer an Nabokov erinnernden Schlauheit aufgeladen auf seine Weise.
Der lineare Erzählverlauf funktioniert dann folgendermaßen: Da gibt es den neurotischen Schriftsteller Leo Richter, der bei einer Lesereise durch Südamerika immer die selben Fragen vom Publikum gestellt bekommt. Ein paar Kapitel später sieht man die Krimiautorin Maria Rubinstein in ein fernöstliches Land fahren, wo sie den Kontakt mit ihrer Reisegruppe verliert - und schließlich hoffnungslos durch die Fremde geistert. Zwischendurch hat der Leser Bekanntschaft mit der todkranken Lara Gaspard gemacht, die ihre letzte Reise nach Zürich zu einer Sterbehilfe-Klinik antritt.
Die Falltüren und Spiegelkabinette, die Kehlmann geschickt in den Textkorpus baut, sind dann beispielsweise diese: Leo Richter bittet per Handy sein Management darum, anstatt seiner Maria Rubinstein die lästige Einladung annehmen zu lassen. Lara Gaspard ist die Figur einer bekannten Erzählung von dem selben Schriftsteller – und wenn sie Gott in ihrer Verzweiflung darum bittet, sie weiterleben zu lassen, wendet sie sich just an den Autor mit den Namen Leo Richter. Und auf den Flughäfen liegen zum Verkauf die Bücher Blancos. Es gibt lauter solcher verstreuter Motive, die eindeutig zum Ensemble des Virtuosen beitragen.
Mit dieser Methode bedient Kehlmann nicht nur das Publikum, sondern auch einen konservativen Diskurs, denn er verortet sich selbst und seine ästhetische Weltanschauung in einem postmodernen Traditionsverständnis, das über Nabokov und Borges bis hin zu Vargas Llosa und Paul Auster reicht. Als Effekthascherei eines literarischen Enkels sollte man das allerdings nicht verstehen, gerade weil man nach „Ruhm“ spätestens weiß: Der Mann kann gut zielen.

Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten. 200 Seiten. Rowohlt. 2009 Reinbek. 18,90 E

1 Kommentar:

  1. Leider ist in der Rezension ein Fehler aufgetaucht:
    Nicht Lara Gaspard ist krank und nimmt die Schweizer Sterbehilfe in Anspruch, sondern Rosalie, deren Nichte Lara Gaspard ist.
    Beste Grüße
    JJ

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