Freitag, 1. Mai 2009

Chaim Noll: Der goldene Löffel

Von Manuel Karasek

Zwanzig Jahre ist es her, seitdem der antifaschistische Schutzwall fiel, die betongraue Gefängniswand der DDR. Nur wenige Jahre später folgten die literarischen Insiderberichte der vorwiegend jungen (und letzten) Generation des ehemaligen deutschen Arbeiter- und Bauernstaates. Die Literaturkritik erwartete in jenen Jahren viel von diesen Schreibern, eigentlich viel zu viel. Lustiges gab es schließlich von Brussig, episches von Jirgl, Schulze, Havemann und Tellkamp: Türme der Erinnerungen.
Chaim Nolls Roman „Der goldene Löffel“ erschien im Frühjahr 89, in der BRD - und wurde wenig beachtet. Gleichwohl das Buch die späten Siebziger Jahre in Ost-Berlin thematisiert, ist es ein Text über die Wendezeit – gerade weil der Roman die ständige gesellschaftliche Agonie der DDR auf gerade mal knapp 250 Seiten auf den Punkt bringt. Adam heißt der Ich-Erzähler in der jetzt beim Verbrecher Verlag erschienenen Neuauflage. Noll lässt ihn die Geschichte eines jungen Mannes aus privilegierten Verhältnissen erzählen, der Kunst studiert, sich in eine verheiratete Frau verliebt und schließlich die gestanzte Karriere als Parteimitglied aufgibt. Das scheinbar Unaufregende und Beispielhafte dieses Werdegangs und die schier unglaublich giftige Öde in solchen DDR-Biographien: Man meint all dies zu kennen, stellt aber schnell fest, dass es Noll schafft, diese Elemente in aufregende Motive zurück zu verwandeln.
Das hängt unter anderem mit der knappen Darstellung zusammen. Allein für die Beschreibung der Beziehung Adams zu seinem Vater benötigt Noll nur wenige Seiten. Auf diesen gelingt es ihm allerdings, komplexe Vorgänge klar und spannend zu schildern. Der Vater - ein renommierter Soziologe – verteidigt bei einem Disput den gesellschaftspolitischen Entwurf der DDR, ist aber innerlich längst ausgebrannt von der zermürbenden Trägheit und intriganten Atmosphäre der Apparate. Der Sohn durchschaut die Strategien im Dienste komplizierter Leugnungen, die die gegenseitige Befremdung jedoch verstärken.
Es gibt mehrere solcher Schlüsselszenen im Roman, in denen Noll die Beziehungsmuster im Alltagskontext der DDR beschreibt. Ihre Anziehungskraft beziehen sie auch aus der Leichtigkeit, mit der der Autor ein Paradigma der späten DDR herausarbeitet: Die ungeheure Mühe, die es der Vätergeneration gekostet hat, das sozialistische Modell auf die Beine zu stellen; und die unausgesprochene Scham vor den Jüngeren, weil offensichtlich ist, dass das ganze Konzept kurz vor dem Scheitern steht.
Ein immer wiederkehrendes Motiv in „Der goldene Löffel“ ist die brüchige Selbstgefälligkeit der Älteren, ihr Nachdruck, mit der sie ständig ihren Erfahrungs- und Wissensvorsprung vor dem jugendlichen Ich-Erzähler zum Besten geben. In Wahrheit – und das durchschaut Noll klug – entrollt sich da eher ein absurdes Abhängigkeitsverhältnis, weil nach Außen hin die DDR sich als Staat der Arbeiter und Bauern präsentiert, im Innern jedoch dynastisch gegliedert ist. Besonders deutlich zeigt sich dieses Verhältnis der verschobenen Kräfte in den Gesprächen, die Adam mit dem Kunstprofessor Knoch führt - der vielleicht am stärksten ausgeleuchteten Figur im Roman. Man verfolgt mit Unbehagen seine Monologe.
Doch man ist wie Adam einem berlinernden Besserwisser voller Ressentiments ausgesetzt, der nicht aufhören kann, darauf hinzuweisen, wie er als unterprivilegiertes Arbeiterkind sich hat hocharbeiten müssen – und der dabei nicht vergisst, den Ich-Erzähler daran zu erinnern, dass den jungen Burschen heute alles in den Schoß gelegt wird. Adam ist in den Augen der Älteren ein Kronprinz. In seiner Perspektive hat diese Rolle aber etwas Pervertiertes. Er ist ein Hamlet, dem sogar kurzfristig Rebellion zugestanden wird, der dann allmählich die immer stärker werdenden institutionellen Kastrationskräfte zu spüren bekommt. Diese komplexen Vorgänge schildert Noll mit einem schwarzen Charme. Und er hält sich mit Deutungen zurück, was zur Folge hat, dass die sparsam dosierten Beschreibungen die verrosteten Herrschaftsverhältnisse viel schärfer einfangen als lange Erklärungen oder komplizierte Introspektiven.
Das sind einige Gründe, warum dieser zwanzig Jahre alte Roman heute noch so gut funktioniert. Aber da sind noch ein paar mehr. Zum einen begreift der Autor den Werdegang seiner Hauptfigur als Negativ eines Bildungsromans. Das Schauspiel vom Weg des jungen Menschen ins soziale Zentrum oder Abseits kann in einer Gesellschaft, die mehrheitlich keinen positiven Bezug zum eigenen Land findet, nicht stattfinden. Wo alles stagniert, lebt es sich wie in einer Fotografie.
Zum anderen verfügt Noll im Gegensatz zu Uwe Tellkamp oder Ingo Schulze über ein sicheres dramaturgisches Gespür. Statt literarischer Abarbeitung, die achthundert Seiten in Anspruch nimmt, hat man hier ein vor allem lesenswertes Buch vor sich, dem es gelingt, mehrere Aspekte des Dramas DDR darzustellen.

Chaim Noll: Der goldene Löffel. Roman. 246 Seiten. Verbrecher Verlag. Berlin 2009. 13 €

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